Bericht
von Pastor Jonathan Paul
("Vater der Pfingstbewegung")
über seine Geistestaufe
(1890)
"Ich war ein Rechtfertigungschrist. Jesus war mein Heiland, und ich war mir dessen bewusst, dass er mir mehr sei als alles. Ich war auch dazu bereit, alles für ihn hinzugeben. Der Glaube an ihn machte mich froh und glücklich. Manchmal war meine Freudigkeit in ihm derartig, dass ich in solchen Stunden gern heimgegangen wäre.
Wie stand es aber mit meiner Heiligung? Ja, das muss ich sagen: Ich litt schmerzlich unter den Erfahrungen, die Paulus im 7. Kapitel des Römerbriefes andeutet: „Ich bin fleischlich, unter die Sünde verkauft... Ich tue nicht, das ich will, sondern das ich hasse, das tue ich...! Wollen habe ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht; denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich...“
Ich war wie in einem Wald ohne Weg und Steg und konnte keinen Ausweg finden. Ich hielt meinen damaligen Zustand für den normalen Zustand eines Christen. Wohl sah ich, dass manche Christen früherer Zeit und auch der Gegenwart mehr hatten als ich; allein bei einigen dachte ich, es sei eine besondere Gnadengabe, die nicht für jeden da sei. Wieder bei anderen schien es mir so, dass sie mehr hätten als ich, weil sie schon älter und gereifter im Christentum seien. So blieb ich also in den durch das 7. Kapitel des Römerbriefs bezeichneten Schranken und gelangte trotz des Mangels, den ich in mir fand, im Blick auf Jesus immer wieder zu der mir unentbehrlichen Glaubensfreudigkeit.
Auf diese Weise kämpfte ich den Kampf gegen die Sünde und erlebte mehr Niederlagen als Siege. Im tiefsten Grunde war es ein Kämpfen mit eigener Kraft, wenn ich auch zeitweise dabei auf den Heiland schaute. Gerade dies letztere, dass ich doch an Jesus glaubte und ohne ihn nichts tun wollte, täuschte mich über meinen wahren Seelenzustand. Dass ich in einer Selbstheiligung stehen könnte, dies zu bedenken, lag mir völlig fern. Ich hielt vielmehr diese meine Heiligung für die Heiligung durch den Glauben, bis mir Gott nach seiner unendlichen Gnade das Geheimnis der Glaubensheiligung erschloss.
Dies geschah am 17. Juni 1890. Am Abend dieses Tages lag ich auf meinem Lager vor Gott. Durch einen besonderen Vorfall, den ich hier nicht erzählen will, war ich dazu angeregt worden, mein Verhältnis zum Herrn zu prüfen. Es war in meiner Seele das Verlangen vom Herrn erweckt worden, ihm ganz und völlig anzugehören, sodass nichts Trennendes mehr da sei. Bei dieser Prüfung meines inneren Zustands kam ich zu der Überzeugung, ich sei bereit, dem Herrn alles hinzugeben. Nun rauchte ich aber damals noch gern; und ich fragte mich, ob ich bereit sei, das Rauchen sofort dranzugeben, sobald der Herr dies wolle. Ich antwortete: Ja, ich bin sofort bereit, wenn Gott es haben will. So war ich also davon überzeugt, dass ich in der völligen Hingabe an Gott stände, und wollte mich mit diesem Gedanken beruhigen und einschlafen. Da aber kam mir der Gedanke: Du sagst wohl, dass du sofort bereit bist, das Rauchen zu opfern, wenn Gott es will, und morgen rauchst du weiter und denkst: Gott will ja nicht, dass ich das Rauchen lasse. Du kannst nur dann beweisen, dass du wirklich zu jeder Aufopferung bereit bist, wenn du dein Rauchen drangibst. Ich erkannte, dass dies wahr sei und dass ich mich ohne Aufopferung des Rauchens leicht über mich selbst täuschen könnte, und darum gelobte ich in jenem Augenblick dem Herrn, ich wolle nie mehr rauchen, sondern ich wolle der Mission das geben, was ich bisher verrauchte. Alles dies vollzog sich in meiner Seele ohne die geringste Aufregung und ohne den mindesten Kampf. Ich lag still vor Gott und gelobte dies, um ganz ihm anzugehören.
Kaum hatte ich dies getan, da geschah etwas Wunderbares mit mir, wovon ich nicht das Geringste vermutet hatte. Ich empfing eine Durchströmung mit dem Heiligen Geist, und zugleich schaute ich mit wachen Sinnen ein wunderbares Gesicht... O wie beglückt und begnadigt fühlte ich mich! Himmelswonne beseligte mich, bis ich unter Lob, Dank und Anbetung meines Gottes mich zum Schlaf niederlegte wie ein Kind, dem es so wohl ist am Vaterherzen.
Ich hatte übrigens gerade an diesem Tag eine mich tief bewegende Predigt über Apg. 2, 17.18 gehört: „Es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, ich will ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; ... und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Ältesten sollen Träume haben.“ Und nun hatte sich dieses Gotteswort an mir selbst erfüllt. Zugleich aber auch erfuhr ich, welchen gewaltigen Einfluss eine solche Durchströmung mit dem Heiligen Geist auf das ganze Innenleben eines Menschen ausübt. In jener Stunde strömten mir aus Jesus durch den Heiligen Geist Himmelskräfte zu, die mich aus meinem früheren Zustand heraushoben. In jenem Augenblick war es in mir anders geworden; und seitdem ist mir die Heiligungsgnade zugeflossen und hat mein Herz durchströmt wie das Wasser eines belebenden Stromes.
Die Heiligungskräfte, die mir zuteil wurden, brachten den Sieg über die Sünde. Der Sieg strömte mir von oben als Gnadengeschenk zu. Jesu vollendeter Sieg über die Sünde war nun mein Sieg geworden. Und die Gnaden und Kräfte des Siegers Jesu kamen über mich mit Himmelsgewalt durch die Salbung, welche mich durchdrang. Ich sah mich nun im Sieg, und zwar ohne eigenen Kampf, allein durch die Gnade. Es ist schwer für mich zu sagen, was damals durch die Geistestaufe an mir geschah. Ich kann nur bekennen: In jener Stunde wurde mir mein Heiland größer und herrlicher als je zuvor. Er wurde mir viel wirklicher und realer, als ich es bis dahin für möglich gehalten hatte. Damals wurde er mir – dem Herrn sei ewig Dank – meine einzige Passion.
Als ich am Morgen nach jenem Abend mich von meinem Lager erhob, stand ich als ein anderer auf. Dinge, die mich noch am Tag zuvor angezogen hatten, hatten jeden Reiz für mich verloren. Am vorhergehenden Tag hatte ich noch mit Behagen eine Zigarre geraucht. Jetzt war auch der leiseste Reiz zum Rauchen verschwunden, ja noch mehr: Es war mir beinahe unverständlich geworden, wie das Rauchen überhaupt einen Reiz haben könne. Das Geheimnis war mir aufgegangen: „Christus in mir.“
Am Besten kann ich den Zustand, in welchen ich eingetreten war, durch das Magnetisiertwerden illustrieren. Wenn ein Eisen magnetisch gemacht wird, so nehmen alle die einzelnen Teilchen im Eisen eine neue Richtung an. So war es auch in mir. In meinem früheren Zustand hing ich an Christus, wie ein unmagnetisches Eisen an einem Magneten hängt. Solch Eisen lässt nicht los; und so hätte auch ich vor dieser Durchströmung mit dem Geist den Heiland nicht lassen mögen, nein, um alles in der Welt nicht! Aber jetzt war durch die Salbung an mir mehr geschehen. Nun hatte mich Jesus magnetisiert. Alles in mir hing an ihm: Mein ganzes Innenleben war auf ihn gerichtet. Die magnetische Kraft war nun in mich geströmt. Jetzt war der Magnet Jesus in mir. Nun hatte ich die Heiligung erlangt. Christus war in mir.
Hierzu war ich gelangt, ohne dass ich von irgendeiner Seite dazu angeregt worden war, eine derartige Durchströmung mit Heiligem Geist zu erwarten. Die so genannte „Heiligungsliteratur“ war mir fast ganz unbekannt. Solche englischen oder amerikanischen Bücher über Heiligung hatte man mir als ungesunde Ware verdächtigt. Ich hatte mich daher um derartige Bücher nicht gekümmert... Man kann also nicht sagen, dass ich durch irgendein Buch zu einer neuen Anschauung von der Heiligung gekommen wäre. Vielmehr war es allein das Werk des Heiligen Geistes, der mir die Heiligungsgnade als eine ungemein wirksame, belebende und beseligende Kraft aus der Höhe hatte zufließen lassen."
Jonathan Paul (1853-1931): Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen. Ein Zeugnis von der Taufe mit dem Heiligen Geist und Feuer. Berlin, 1. Auflage 1896, S. 339 ff.; Christlicher Verlag Fritz Pranz KG, Altdorf bei Nürnberg, 3. Auflage 1956, S. 150 ff.